Dienstag, 18. September 2007

mit den Ohren sehen

Abschied vom Golden Beach

Wir sagten dem Lenz ade, um uns wieder in unsere Welt zu begeben - die transistorische.

Wenn man seine meiste Zeit bewegend zubringt und das auf wenigen Quadratmetern (der Nachfolger des defekten Buick brachte mehr), beginnt man eine eigene Welt zu bauen, mit eigenen Ritualien, eigenen Codices.

Vor Tagen haben wir während des Fahrens mit einem Spiel begonnen zu dem uns Paul Auster inspirierte.

Der Beifahrer schließt dabei seine Augen und lässt sich vom Fahrer Gesehenes erzählen. Was sich anfangs simpel und einfach anhört, verwandelt sich schon bald in ein Gewaltspiel der Worte. Zuerst kamen die Definitionen ziemlich banal durch den Raum geflogen. (Ich sehe einen Baum). Als aber das Gegenüber zu fragen begann - was für eine Baumart, welche Farben siehst du, beschreibe den Asphalt, ändert er sich, welche Formen besitzen die Wolken und Berge - wurde dieses Spiel bald zu einer verbalen Meisterschaft.

Die Welt dringt in uns durch die Augen, aber um sie für den anderen fassbar zu machen, müssen wir sie beschreiben. Gleichzeitig wird uns klar wie schnell unüberlegte Worte zu Missinterpretationen führen.

Einmal versuchen wir mit blumiger Sprache, ja fast poetisch dem Gegenüber die Welt zu erklären, danach wieder mit mathematischer Genauigkeit. Einmal vergleicht man Wolken mit Formen, dann wieder mit Eigenschaften. So vergehen die Stunden zwischen unseren kurzen Stopps fast unmerklich. Mit immer größerer Begierigkeit wird die nächste Kurve herbeigesehnt, und wer die Straßen hier kennt weiß es kann sich oft um ein langes Sehnen handeln, um dem Gegenüber mit neuen Beschreibungen eine Welt zu zaubern.

Sieben, acht Stunden am Tag im Auto sind keine Seltenheit. Neben dem Spielen ergibt sich eine andere Möglichkeit - das Lesen. Während die Eva lenkt ergebe ich mich dem Sachbuch „Macht Glaube Politik, Religion und Politik in Europa und Amerika“ (Tobias Mörschel Hg.), in einigen oft stark divergierenden Aufsätzen werden einige Positionen, die meinem Verständnis nach doch ein paar gute Ansätze bilden. Grund genug für uns ausgiebig darüber zu diskutieren, vor allem darüber, warum die Amerikaner so religiös sind:

Ein Grund der erhöhten Religiosität in Amerika könnte angeblich die fehlende Sozialversicherung sein. Eine einfache Formel legt dar, wer versichert ist braucht nicht mehr darauf Hoffen, dass sein leibliches Wohl nur aus dem Gebet resultiert. Umgekehrt würde bedeuten, Säkularisierung komme aus dem Zurückdrängen sozialer Not. Ganz unrecht mag der Gedanke nicht sein, aber alle Punkte von Nichtreligiosität ist er nicht fähig zu erklären


Eine zusätzliche Komponente der Diskrepanz zwischen Europa und Amerika wird mit dem erhöhten Angebot religiöser Gemeinschaften erklärt. Wo das Angebot vermehrt auftritt, dort steigert sich ebenfalls der Konkurrenzdruck. Um seine Schäfchen in diesem Überangebot zu halten, müsste die Leistung der Kirche gesteigert werden, was dadurch die Kundschaft erhöht. Religionszugehörigkeit im Sinne von Markenzugehörigkeit. Ein ziemlich profanes Phänomen. Aber auch diese Tatsache kann nicht im europäischen Kontext angewandt werden. In Deutschland konkurrieren immerhin zwei große Weltreligionen miteinander und von ansteigenden Mitgliederzahlen kann hier nicht die Rede sein - auch die neuen Bundesländer bilden da keine Ausnahme.


Nihilismus pur in Delta, Utah


Eine der eindeutigsten Erklärungen versucht die Frage mit der Einwanderung zu verbinden.

Jeder, der in ein Land einwandert, wird zuerst Anschluss an eine schon vorhandene, nämlich die ihm am ehesten zuordenbare, Gruppe suchen. In Amerika als ein traditionelles Einwanderungsland (melting pot) waren diese Anschlussgruppen religiöser Natur. Dort wurde gemeinsam gefeiert, politisiert, einfach Gesellschaft gelebt. Diese Beobachtung kann sicher auch auf europäischen Einwanderer umgelegt werden.

Warum aber trotzdem immer mehr Europäer von der Religion abfallen wird folgend erklärt:

Die Europäer wurden im 20.Jahrhundert von einer dogmatisch- religiös geprägten Politik in die Nächste gedrängt. Nun hat man genug vom Absolutismus und schwört der Religion ab. Was aber ist mit den Jungen, die nicht unter Faschisten oder Kommunisten leiden mussten? Kann das eine Erklärung sein?

Hat sich die Religiosität im Sinne der katholischen Kirche, nicht einfach in Ersatzreligionen aufgelöst. Frönen wir nicht lieber doch dem Diesseitsparadies, als dass wir auf später warten (wo doch die Lage so unsicher ist). In dem Fall müsste man sagen, ist Selbstmord nicht viel unsicherer als das Leben selbst.


Wir hören auf zu diskutieren und beschreiben wieder die Dinge, die uns umgeben, und so im durchfahren malen wir das zwEintopf auf die Straße.



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